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HC ERLANGEN UNTERLIEGT DEM THW KIEL

16.11.2022

5768 wilde Fans in der ARENA NÜRNBERGER Versicherung, eine so selbstbewusste Bundesliga-Mannschaft wie vermutlich noch nie zuvor in der Geschichte des Erlanger Handballs - und dann der übergroße THW Kiel zu Gast. Vieles sprach im Vorfeld dafür, dass nur drei Tage nach dem nervenaufreibenden, hauchdünnen 29:31 bei der SG Flensburg-Handewitt, auch das Aufeinandertreffen des HC Erlangen mit dem Rekordmeister einen ganz besonderen, einen großartigen Handballabend liefern würde. „Wir wollen unseren Fans ein genauso großartiges Spiel bieten, wie kurz zuvor den Flensburgern“, hatte Raul Alonso angekündigt - und sein Versprechen hielt zumindest eine Halbzeit lang. Vom Anwurf weg wirkte Erlangen überraschend frisch in den Beinen, überraschend aufmerksam und begeisternd spielfreudig gegen den haushohen Favoriten. „Wir wussten nicht, wie viel Benzin wir noch im Tank haben“, verriet Alonso hinterher, noch schwieriger machte das Unterfangen mit dem Traum einer sportlichen Sensation das Fehlen von Hampus Olsson (Fußverletzung) und Antonio Metzner (Hand). Doch während Christoph Steinert, der am Ende zehn Tore warf, die Verantwortung auf Halbrechts bravourös übernahm, blieb die Rechtsaußenposition gänzlich glücklos. Allein in der Anfangsphase scheiterte der HCE drei Mal von dieser Position, dazu kamen vergebene freie Würfe am Kreis und im Gegenstoß.

So durfte sich Kiel in Ruhe schütteln und gegenseitig wach zwicken, Coach Filip Jicha schaufelte auf der Trainerbank indessen massenhaft Kohlen nach, um sein Team irgendwie auf Betriebstemperatur zu bringen. Doch einzig Niklas Landin begann zu glühen: Zeitweise über 45 Prozent der Würfe auf sein Tor parierte der Keeper in gewohnter Weltklasse-Manier, wobei, wie Raul Alonso hinterher sagte, „ich auch mit der Wurfqualität meiner Mannschaft nicht wirklich zufrieden sein kann“. Immer wieder erspielte sich Erlangen feingeistig, geduldig und teils spektakulär gegen die starke Gästedeckung allerbeste Tormöglichkeiten, einzig der Ball flog viel zu selten an den Füßen, den Händen und dem Bauch von Landin vorbei ins Gästenetz. Weil den HCE die vergebenen Großchancen aber niemals entmutigten, führte er trotzdem in der ersten Hälfte drei Mal mit drei Toren: 9:6, 13:10 und 16:13. Bis zur Minute 17 hatten für ein bis dahin hölzernes Kiel indessen nur Nikola Bilyk, Harald Reinkind und Domagoj Duvnjak überhaupt getroffen, bis zur Pause lag der THW kein einziges Mal in Nürnberg in Führung. Das peitschte das Publikum zusätzlich an. Jeder Ballgewinn der eifrigen Erlanger Defensive wurde bejubelt wie ein Treffer, jeder Treffer bejubelt wie ein Heimsieg. Die mit 5768 Zuschauern gefüllte Halle stand völlig Kopf, als erst Nico Büdel und kurz darauf sogar Torwart Klemen Ferlin den Ball aus der eigenen Hälfte ins verwaiste Kieler Tor warfen. Es schien, als hätte der HCE auf jede der Kieler Kartentricks - von offensiver Deckung bis zum Sieben-gegen-Sechs im Angriff - einen Trumpf in der Hand und musste ihn nur ausspielen. Doch diese Trumpfkarten, sie gingen mit zunehmender Spielzeit aus: „Wir haben kurz vor der Halbzeit mit einem Drei-Tore-Lauf das Momentum an uns gerissen und diesen Lauf nach der Pause fortgesetzt“, freute sich Gästecoach Filip Jicha erleichtert. Das 17:16 durch den fast schon unverschämt treffsicheren Bilyk war die erste Führung seiner Mannschaft - und diese gab Kiel nun mit der wiedergewonnenen Souveränität bis zum Spielschluss auch nicht mehr aus der Hand. Das 17:20 konnte Erlangen zwar noch einmal mit einem Kraftakt auf 19:20 (39.) kontern, dann gelang bis zur 44. Minute aber gar kein Heimtor mehr. Das 19:25 durch Duvnjak bedeutete so eine Vorentscheidung - zu stark hielt Niklas Landin im Kieler Tor nahezu alles, was auf ihn geflogen kam. „Irgendwann sagte Niko Link zu mir auf der Bank: Wir haben erst vier Tore geworfen - genau das war das Problem“, konstatierte Christoph Steinert, „es tut weh, weil wir es uns selbst zuzuschreiben haben mit keiner guten Wurfqualität. Es wäre mehr drin gewesen.“ Auch Jicha gab zu, gewusst zu haben, was sein Team in Nürnberg erwarten würde. Daher konnte man erstaunliche Erleichterung auf der Kieler Bank erkennen, als die Würfel gefallen waren: „Erlangen ist zu einer gefährlichen Mannschaft gereift“, begründete das der Kieler Coach, „ich bin froh, dass wir in der ersten Hälfte bei den Rückständen stets die Ruhe bewahrt haben.“ Raul Alonso hingegen fand, dass sich wie schon die Partie in Flensburg am Ende nicht wirklich wie eine Niederlage anfühlte. Zu gut hatte sich seine Mannschaft mit den ganz großen der Branche geschlagen, binnen vier Tagen erst Flensburg, dann Kiel einen wilden Schlagabtausch auf Augenhöhe geliefert. „Ich hoffe, am Samstag (20.30 Uhr zu Hause gegen die Rhein-Neckar Löwen, d. Red.) kommen noch ein paar Fans mehr, diese großartige Unterstützung wie heute brauchen die Jungs unbedingt in diesen harten Wochen - und die haben sie sich auch verdient.“ Das Selbstvertrauen des HC Erlangen ist also weiter nicht verloren gegangen. Im Gegenteil: „Wir waren eine Halbzeit lang mindestens ebenbürtig“, freute sich Raul Alonso. „Wir können mit den großen mithalten, das ist, was wir aus diesem Spiel und auch aus Flensburg nun für den Samstag mitnehmen“, sagte Christoph Steinert. Am Samstag gibt es also die nächste Chance für eine riesengroße Überraschung.

STATISTIK

HC Erlangen

Tor: Obling, Ferlin
Steinert 10/4, Bissel 3, Büdel 3, Heiny 3, Zehnder 3, Zechel 2, Ferlin 1, Jeppsson 1, Sellin 1, Seitz, Bialowas, Fäth, Firnhaber, Link, Kurch


THW Kiel
Tor: Landin, Mrkva
Bilyk 9, Fraatz 7, Reinkind 4, Ekberg 3/2, Weinhold 3, Duvnjak 2, Zarabec 2, Dahmke 1, Pekeler 1, Wallinius 1, Overby 1, Johansson.