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KNAPPE NIEDERLAGE GEGEN DIE RHEIN-NECKAR LÖWEN

20.11.2022

Lange Zeit, da spürte man von der „Monsteraufgabe“, wie sie Cheftrainer und Sportdirektor Raul Alonso nannte, kaum etwas. Vor 6078 Zuschauern in der stimmungsvollen ARENA NÜRNBERGER Versicherung spielte der HC Erlangen nach kurzer Anfangsirritation auf, als wäre das Kräftemessen mit den großen Rhein-Neckar Löwen gar nicht das dritte Spiel gegen eine Topmannschaft binnen acht Tagen. „Ich muss meiner Mannschaft ein Riesenkompliment machen“, sagte Alonso - wie schon in Flensburg und gegen Kiel hatte es zwar auch an diesem Samstagabend am Ende hauchdünn nicht gereicht. Mit 30:33 (18:16) stand letztlich sogar die dritte Niederlage in Folge. „Ich glaube aber nicht, dass es irgendeine andere Mannschaft in der Liga gibt, die drei so schwere Aufgaben in so kurzer Zeit zu absolvieren hat - und trotzdem sind wir wieder mit großer Leidenschaft, Einstellung und Qualität auch durch diese Partie gegangen.“ Und lange, nein: sehr lange Zeit hatte dieses besondere Engagement dem HCE wieder Flügel wachsen lassen.

Ein schneller 0:3-Rückstand wurde einfach zur Seite gewischt, als Christopher Bissel erstmals traf, hatte Klemen Ferlin im Heimtor schon drei Paraden gefeiert und es stand wieder 4:4-Unentschieden (8.). Das befeuerte das Publikum, über 6000 Menschen waren trotz des ersten Schneefalls dieses Winters in der Metropolregion gekommen, und die klatschten und brüllten ihre Mannschaft nun unaufhaltsam nach vorne. „Ich muss mich wieder beim Publikum bedanken: Auch das ist einzigartig, wie wir heute wieder unterstützt wurden“, sagte Raul Alonso. Im Gleichschritt mit dem Favoriten ging es durch die erste Hälfte, immer wieder scheiterte der HCE mehr an sich selbst. Es blieben wie schon gegen Kiel Großchancen ungenutzt - so warfen die Rhein-Neckar Löwen sich eiskalt immer wieder kleine Führungen heraus (7:9, 15. Minute; 9:11, 18. Minute), die Erlangen aber immer wieder mit großer Moral und noch größerem Einsatz egalisieren konnte. Die Kampfkraft, angepeitscht vom nimmermüden Publikum, zahlte sich endlich aus, als der enorm verbesserte Johannes Sellin mit seinem dritten Treffer zum ersten Ausgleich seit dem 3:3 traf (12:12, 20.). Mehr noch: Groetzki traf nur den Pfosten, der starke Lutz Heiny dafür zur ersten Heimführung (13:12, 22.) und sogar noch zum 14:12. Das Hallendach drohte wegzufliegen, so unaufhaltsam schwappte die Erlösung durch die Ränge. Überhaupt Lutz Heiny: Der quierlige Spielmacher schien seine müden Beine nach dem Kiel-Spiel einfach gegen ein nagelneues Paar ausgetauscht zu haben. Immer wieder brachte er die Gästedeckung mit hohem Tempo ins Rotieren, seine schnellen Richtungswechsel und ansatzlosen Abschlüsse sorgten für Zornesausbrüche auf der Trainerbank der Gäste. Am Ende traf der Neuzugang acht Mal aus dem Feld - genau wie Sellin, für den sich nach harten Tagen der Selbstzweifel der Jubel der über 6000 anfühlte, wie ein wohlig-warmes Erholungsbad. Zwar kämpften sich die Löwen wieder in Überzahl heran, doch zwei Treffer erneut von Sellin machten aus dem 16:16 eine 18:16-Führung zur Pause.

Und noch hielten die Erlanger Kräfte, wenngleich das kleine Lämpchen an der Tankanzeige nun begann zu leuchten. Die Erlanger Glückseligkeit hielt noch bis Minute 44, als hinten Klemen Ferlin einen freien Wurf entschärfte und Christoph Steinert den Ball übers gesamte Feld ins leere Löwen-Tor schickte: 25:23. Doch die Explosion, die auf den Rängen folgte, kaschierte nun die Tankanzeige, die sich bereits dunkelrot gefärbt hatte und wild blinkte. In der Folge nämlich gelang Erlangen über acht Minuten kein Treffer mehr - natürlich, weil Mikael Appelgren, den Gästecoach Sebastian Hinze zur Pause zwischen die Pfosten geschickt hatte, nun über sich hinauswuchs. Am Ende hatte der Schwede fast 45 Prozent der Würfe auf sein Tor gehalten - andererseits aber musste sich Erlangen auch ärgern, dass wie schon gegen Kiel zu viele gute Chancen zu leichtfertig vergeben wurden. Am deutlichsten, als erst Justin Kurch und im Nachwurf auch noch Bissel an Appelgren mit Doppelchance scheiterten. Auf den Rängen ahnte man nun erstmals Böses - und so kam es auch. Das 26:26 (53.) war der letzte Gleichstand des Spiels, nun schlichen sich immer mehr Konzentrationsfehler ins Erlanger Spiel, hinten bekam man die Schnittstellen nur noch selten geschlossen, statt auf Turnschuhen schleppte sich die Heimelf nun auf dem Zahnfleisch über den Hallenboden. Die Folge: Eine in diesem engen Spiel fast schon vorentscheidende Zwei-Tore-Gästeführung.

„Es lag einerseits an der individuellen Qualität, ganz sicher“, fand Kreisläufer Tim Zechel hinterher. Gerade der junge Juri Knorr war für Erlangen nie in den Griff zu bekommen. „Andererseits aber müssen wir uns schon auch selbst ärgern, die Chancen waren da“, so Zechel. Die Crunchtime, in der Raul Alonso fast schon verzweifelt noch einmal versuchte, die letzten Kräfte, die letzten Tropfen Benzin irgendwie zusammenzukehren, lief ebenfalls zugunsten der Rhein-Neckar Löwen. Zwar brachte Lutz Heiny zwei Mal noch mit seinen Treffern Hoffnung, doch als Appelgren mit der Zehenspitze einen Steinert-Versuch an den Außenpfosten lenkte, war die Partie endgültig gelaufen.

„Ich bin glücklich, denn wir sind ehrlich: Es hätte heute auch in die andere Richtung laufen können“, sagte Gästecoach Sebastian Hinze erleichtert. "Sicherlich war die Kraft nach dieser unfassbar brutalen Woche ein Thema“, fand sein Gegenüber Raul Alonso. „Aber wir sind auch stolz, dass wir es wieder geschafft haben, einen ganz großen Gegner so lang zu beschäftigen - obwohl wir so viel in den Beinen hatten.“ Die beste Nachricht des Abends war somit eine ganz einfache: Die Zeit der Monsteraufgaben ist für den HC Erlangen nun erst einmal vorbei.

HCE
Ferlin (32 Gegentore, 10 Paraden), Obling (1 Gegentor);
Heiny 8, Sellin 8, Zehnder, Fäth 1, Firnhaber 1, Büdel 1, Bissel 1, Link, Jeppsson 1, Steinert 7/2, Kurch, Zechel 2.

Rhein-Neckar Löwen:
Birlehm (18 Gegentore, 5 Paraden), Appelgren, (8 Paraden, 12 Gegentore);
Gensheimer 3/1, Kirkelokke 1, Knorr 7/2, Helander 3, Lagergren 3, Groetzki 4, Schefvert 4, Gislason 1, Jaganjac 3, Nilsson 1, Kohlbacher 3.