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VOR GROßARTIGER KULISSE: HC ERLANGEN BEZWINGT TVB STUTTGART

27.12.2022

Der Druck, den sie sich selber machten, verriet Raul Alonso hinterher erleichtert, war riesig gewesen. Christoph Steinert, der Linkshänder fand, sie wären dann doch erstaunlich gut mit der „nicht einfachen Situation" umgegangen in den Trainingstagen vor diesem großen Spiel. Und Christopher Bissel meinte, während er voller Glück über das ganze Gesicht strahlte, dass ihm ein Handballspiel wie dieses 31:28 (16:15) über den TVB Stuttgart selten so viel Spaß gemacht hatte - trotz all des Drucks, dieser negativen Serie, dieser Erwartungshaltung: Sieben Bundesligaspiele in Folge hatte der HC Erlangen nicht mehr gewonnen, war gleichzeitig immer weiter nach unten gewandert in der Tabelle. Der schwache Trost, all die Achtungserfolge gegen die Top-Teams, schmeckte dazu immer bitterer. „Was nutzt uns das alles“, fragte Kapitän Sebastian Firnhaber, „wenn wir am Ende nicht punkten“. Und so waren es letztlich, als am späteren Dienstagabend endlich die Schlusssirene in der ARENA NÜRNBERGER Versicherung erklang, „Tonnen an Steinen“, so Steinert, die dem HCE in diesem Moment von den Schultern purzelten.

Schon viele Minuten vorher hatten all die Menschen, die gekommen waren, vor lauter Glückseligkeit einfach aufgehört, sich wieder hinzusetzen. 7758 - in Worten: siebentausendsiebenhundertachtundfünfzig - waren zum letzten Bundesligaspiel in diesem Kalenderjahr in die Halle gekommen. „Dass es dadurch ein ganz besonderes Spiel werden wird“, verriet Raul Alonso, „das hatte sich im Vorfeld schon immer mehr abgezeichnet. Aber wie sich diese Arena dann verwandelt hat, wozu sie wurde durch die Begeisterung unserer tollen Fans, das habe ich nicht für möglich gehalten“. Die Menschen, sie klatschten, sie jubelten, sie litten und sie feierten - manche gar so hemmungslos wie eine Schar der Supporters Crew, der in ihrem unermüdlichen Anheizen und Nach-Vorne-Schreien gar so heiß wurde, dass sie sich ihres Oberhemds entledigten. „Das war das erste Mal seit Corona, dass es wieder so viele Fans in der Arena waren“, freute sich Christopher Bissel, mit vier Treffern aus vier Versuchen und seinem Biss, seiner Leidenschaft einer der Helden dieses Endspiels, wie es sein Trainer vorab getauft hatte.

Begonnen hatte die Begegnung noch ganz anders: Stuttgart drehte eine 1:0-Führung des HCE früh auch dank doppelter Überzahl in ein 3:1. „Man muss in jeder Sekunde sehen und spüren, dass wir unbedingt gewinnen wollen“, hatte Raul Alonso gefordert. Das, was in diesen Minuten geschehen war, war der Aggressivität zu viel gewesen. Und dennoch sah man und spürte man genau das: Erlangen warf sich nach freien Bällen, Erlangen verfolgte seine Gegenspieler fast bis zur Mittellinie, Erlangen packte zu, Erlangen riss, Erlangen kochte - und die Kulisse, sie konnte gar nicht anders, als sich mit in dieses lodernde Feuer zu werfen, das ihre Mannschaft so leidenschaftlich entfacht hatte.
Die Hitze zeigte auch bei Stuttgart zunehmend Wirkung: beim 6:6 war die Begegnung wieder ausgeglichen (14. Minute) und im Gleichschritt ging es Richtung Halbzeitpause, weil auf beiden Seiten den Torhütern die ganz großen Momente fehlten. Eine hohe Zahl an technischen Fehlern verriet, wie nervös beide Teams zeitweise agierten - auch für Stuttgart ging es schließlich darum, in einer Negativserie einen versöhnlichen Jahresabschluss zu finden.

„Zum Anfang der zweiten Hälfte verlieren wir dann leider den Anschluss“, ärgerte sich Gästecoach Michael Schweikardt. Zum einen trafen seine flinken Außenspieler gleich mehrfach bei freien Würfen nur das Aluminium, zum anderen gelang es dem HCE, zunehmend die Tür zum Tor zu vernageln. Klemen Ferlin zeigte einige Male sehenswert seine Klasse, der Ersatz des Ersatzes, Michael Haßferter aus der U23-Mannschaft, parierte gar einen Siebenmeter gegen den treffsichersten Gästespieler Daniel Jimenez, der am Ende zwölf Mal traf. Bertram Obling, der eigentliche zweite Mann zwischen den Pfosten, war kurz zuvor Vater einer gesunden Tochter geworden und verfolgte aus dem Kreißsaal via Liveticker das Treiben. Mit Tim Zechel, Sebastian Firnhaber und dem fleißigen Nikolai Link warf der HCE seine tapfersten Ritter in den Innenblock.
Der Kampf hatte es dadurch in sich: Erlangen gelang es mehr und mehr, hinten Sicherheit zu gewinnen und vorn, die Lücken in der Stuttgarter Deckung zu finden. Der agile Nico Büdel, Manuel Zehnder mit seinen wilden Würfen aus der Hüfte und der flinke Lutz Heiny machten Erlangens Angriff immer unberechenbarer. Dort, wo der TVB ein Problem vermeintlich in den Griff bekam, taten sich gleich zwei neue auf. Das sogar, als Erlangen zeitweise der letzte verbliebene Linkshänder im Rückraum ausging: Christoph Steinert musste einen tiefen Cut an der Hand verarzten lassen, kam aber nach zehn Minuten zurück auf das Feld.

Nun marschierte Erlangen mit einigermaßen beruhigendem Abstand vorneweg. Überhaupt wurde die Führung in Hälfte zwei nicht mehr abgegeben. Und immer, wenn es noch einmal drohte, im Ansatz vielleicht eng zu werden, halfen Klemen Ferlin, Michael Haßferter, das Aluminum oder sogar Stuttgarter Unkonzentriertheiten. „Wir sind enttäuscht“, sagte daher der Gästecoach nachvollziehbar, „aber der Sieg für Erlangen war trotzallem verdient.“
So sah es auch die Gegenseite - und allen voran diese 7758 begeisternden Fans, die nach Spielschluss ihre Mannschaft minutenlang stimmungsvoll hochleben ließen. Alle, die gekommen waren, um sich vielleicht nur zwischen den Jahren ein wenig von einer bislang unbekannten Sportart unterhalten zu lassen, sie hatten sich nun schlagartig verliebt: in den Handball, in die Spannung und in die Klasse dieses packenden Sports. Und natürlich in diesen HC Erlangen mit all seiner Leidenschaft. „Ich kann nur immer wieder Danke sagen für diesen großartigen Abend in dieser tollen Kulisse“, schloss Raul Alonso treffend.  

HC Erlangen
Ferlin, Haßferter
Heiny 6, Sellin 1, Bialowas, Zehnder 4, Firnhaber 1, Büdel 4, Bissel 4, Link 1, Jeppsson, Steinert 6/4, Olsson 2, Zechel 2.

TVB Stuttgart
Heinevetter, Vujovic
Villalobos 2, Jimenez 12/5, Hanusz 2, Lönn 4, Nicolaus 1, Forstbauer 1, Müller 1, Pfattheicher 1, Bergendahl 2, Sliskovic 2.